​"Hey Chihuahua" - Picos Zahnproblem

Der 8-jährige Chihuahua-Rüde Pico ist schon seit vielen Jahren unser Patient und schaut ganz vorbildlich regelmäßig zum jährlichen Gesundheitscheck vorbei. Chihuahuas haben ein deutlich erhöhtes Risiko für parodontale Erkrankungen, und so hatte Picos Frauchen von uns frühzeitig eine Einweisung in die tägliche Zahnhygiene erhalten. Neben der Aufklärung über eine zahnfreundliche Ernährung, gab es eine ausführliche Unterweisung für die tägliche Zahnpflege. Jeder Hund lässt sich bei entsprechender Motivation fürs Zähneputzen begeistern - so auch Pico. Sein Frauchen hatte es sogar geschafft, ihn an eine Elektrozahnbürste zu gewöhnen.

Der Chihuahua-Rüde ist sozusagen unser Zahnvorzeigepatient, und wir freuen uns jedes Jahr über seine topgepflegten Zähne, doch leider kam es anders als erwartet. Im Rahmen der gründlichen Untersuchung, die zu jeder Impfung dazugehören sollte, durfte uns Pico seine Zähne zeigen. Schnell fielen Rötung, Schwellung und Rückbildung des Zahnfleisches  im Bereich der vorderen Wurzel des Reißzahnes im linken Oberkiefer auf (Bild 1). Außerdem wies dieser Zahn im Vergleich zur Gegenseite eine deutliche Zahnsteinbildung auf. Die Parodontalsonde, ein spezielles Instrument mit einer Skalierung zum Ausmessen von Zahnfleischtaschen, brachte das Ausmaß des Schadens an das Licht. Die Sonde ließ sich fast einen Zentimeter tief in das Zahnfach einführen (Bild 2+3). 

Was war geschehen? Trotz Zahnpflege hatte sich zwischen Zahnfleisch und Zahn eine Tasche gebildet, in die Bakterien eingedrungen waren. Die nachfolgende Entzündung hatte den Zahnhalteapparat erfasst und war jetzt bereits tief in das Zahnfach eingedrungen. Es war bereits zum Knochenabbau und zur Lockerung gekommen. Der Zahn war nicht mehr zu erhalten und musste leider entfernt werden.

Picos Frauchen reagierte zunächst ablehnend, da der kleine Kerl an einer Herzerkrankung litt und bereits entsprechende Medikamente benötigte. Sie war in großer Sorge wegen der für den Eingriff notwendigen Narkose und dem mit seiner Herzerkrankung verbundenem Narkoserisiko. Dieses Argument hören wir immer wieder. Es führt leider dazu, dass notwendige Eingriffe so lange aufgeschoben werden, bis der Vierbeiner das Fressen einstellt und uns mit Fieber und einer zahnbedingten Blutvergiftung vorgestellt wird. Zum Glück konnten wir Picos Frauchen überzeugen, dass eine chronische Wurzelentzündung für Picos Herzerkrankung das deutlich höhere Risiko darstellt. Bakterien können sich an den bereits vorgeschädigten Herzklappen ansiedeln und eine Herzklappenentzündung hervorrufen. Auch andere Organe wie Leber und Niere werden durch entzündete Zähne in Mitleidenschaft gezogen.

Eingriffe an den Zähnen sollten Spezialisten vorbehalten bleiben. In der Regel sind diese sehr zeitintensiv und erfordern neben dem entsprechenden Fachwissen und der technischen Ausstattung (Zahnturbine, Dentalröntgen) unbedingt eine Inhalationsanästhesie. Nur so sind die Atemwege vor dem bakterienhaltigen Sprühnebel bei der Ultraschallreinigung und beim Durchtrennen der Zähne geschützt. Zudem ist nur so eine adäquate Narkoseüberwachung durch z.B. Kapnometrie (Messung der Kohlendioxydkonzentration in der Atemluft) und eine ausreichende Sauerstoffversorgung gewährleistet. Das Risiko einer gut geführten Narkose bei einem gründlich voruntersuchten Patienten steht in keinem Verhältnis zur Belastung des Körpers durch Bakterientoxine im Rahmen einer chronischen Entzündung.

In Picos Fall standen zunächst ein Kontrollbesuch beim Kardiologen zur Überprüfung seiner Herzmedikation sowie eine Blutuntersuchung an. Beides ergab keine Einschränkungen für den bevorstehenden Eingriff. Pico bekam eine für ihn maßgeschneiderte Narkose und wurde während der Operation kontinuierlich überwacht. Zunächst wurde ein Röntgenbild des betroffenen Zahnes angefertigt, um das Ausmaß der Entzündung und Lockerung einzuschätzen. Anschließend wurde das Zahnfleisch in Form eines trapezförmigen Lappen abgehoben und der darunter liegende Kieferknochen freigelegt. Der Zahn wurde entsprechend seiner drei Wurzeln mit einer Fräse in drei Segmente zerlegt. Während die vorderen beiden Wurzeln geschlossen entfernt werden konnten, wurde für die hintere intakte Wurzel der Kieferknochen eröffnet und die Wurzel nach Lockerung offen entnommen. Nach Glättung der Knochenkanten wurde die Wunde mit  dem zuvor präparierten Zahnfleischlappen mit selbstauflösendem Nahtmaterial verschlossen. Pico konnte bereits eine Stunde nach dem Eingriff auf seinen eigenen Beinchen Frauchen entgegenlaufen. 

Für die nächsten sieben Tage gab es ein Schmerzmittel mit und die Anweisung, hartes Futter und Spielzeug zu meiden. Nach zehn Tagen war die Wunde gut verheilt, und Pico durfte wieder sein gewohntes Futter kauen.