Dr. Laura Truchet: "Impftiterbestimmung beim Hund"

Immer mehr Tierbesitzer und Tierärzte stehen den routinemäßigen Wiederholungsimpfungen kritisch gegenüber. Auch seitens der Ständigen Impfkommission Veterinär (StIKo Vet) und der World Small Animal Veterinary Association (WSAVA) wird die gängige Impfpraxis regelmäßig grundlegend überprüft und an die neusten Erkenntnisse angepasst.

Was ist Impftiterbestimmung?
Impftiterbestimmung ist die Bestimmung von Antikörpern (≙Immunoglobulin; vom Immunsystem als Schutz gebildet) gegen bestimmte Krankheitserreger aus dem Blut. Die Titerhöhe (≙Spiegelhöhe der spezifischen Antikörper im Blut) kann einen Hinweis auf eine vorhandene Immunität liefern.  Somit kann sie bei der Beurteilung, ob noch ein wirksamer Schutz vorliegt oder nachgeimpft werden sollte, helfen.

„Die Idee dahinter“
Seit Beginn der achtziger Jahre gab es Hinweise darauf, dass schützende Antikörperantworten gegen bestimmte, durch Viren verursachte, Erkrankungen sehr langlebig sein können. In Infektionsversuchen konnte ein Schutz von 4  Jahren gegen Staupe (Canines Distemper Virus, CDV), Parvovirose (Canines Parvovirus, CPV) und Hepatitis contagiosa canis (Canines Adenovirus 1, CAV-1) nachgewiesen werden. Bei korrekt grundimmunisierten Hunden hielt dieser teilweise sogar noch deutlich länger an. Für Staupe, Parvovirose und Hepatitis contagiosa canis ist eine klare Korrelation zwischen neutralisierenden Antikörperspiegeln und dem Schutz vor einer klinischen Erkrankung gegeben.

Grundsatzartikel 2006
2006 wurde daraufhin verfasste der Virologe und Hochschullehrer Prof. Dr. Marian C. Horzinek einen Grundsatzartikel, in dem sogenannte „maßgeschneiderte Impfungen“ gefordert werden. Die bis dahin übliche jährliche Wiederholungsimpfung soll durch ein jährliches Impfgespräch ersetzt werden. Während des Impfgespräches sollen die Tiere klinisch untersucht sowie gegebenenfalls auch Impftiterbestimmungen durchgeführt werden. Je nach Untersuchungsergebnis sowie Lebensumstandsänderungen des Hundehalters werden daraufhin nur die tatsächlich erforderlichen Impfungen vorgenommen. Seitdem liegt der Grundsatz „Mehr Tiere impfen, das einzelne Tier (nur) so häufig wie nötig!“ den Impfleitlinien der Ständigen Impfkommission Veterinärmedizin (StIKo Vet) zugrunde. Betont werden muss, dass auf eine vollständige Grundimmunisierung niemals verzichtet werden darf und diese als Grundlage für das jährliche Impfgespräch und die Impftiterbestimmungen unverzichtbar bleibt. Um Epidemien zu vermeiden, sollte generell ein höchstmöglicher Durchimpfungsgrad der Hundepopulation von mindestens 70% angestrebt werden.

Für einzelne Impfungen (CDV, CPV und CAV) kann es sinnvoll sein, die Impfentscheidung abhängig von einer Blutuntersuchung zu machen. Der Nutzen sollte stets individuell vom Tierbesitzer zusammen mit dem Tierarzt abgeschätzt werden."

Dr. Laura Truchet, Tierärztin bei LABOKLIN

Aktuelle Möglichkeiten der Impftiterbestimmung

•    Bestimmung des geeigneten Impfzeitpunkts der Welpen: Die für Infektionen sehr anfälligen Welpen werden in den ersten Lebenswochen durch die Aufnahme mütterlicher Antikörper über die Erstmilch (sog. "Kolostrum") mittels einer passiven Immunität geschützt. Die Titerhöhe der Antikörper nimmt in den ersten zwei Monaten nach der Geburt kontinuierlich ab. Die anfängliche Titerhöhe ist dabei abhängig von der Kolostrumaufnahme sowie von der Immunlage des Muttertieres. Das Problem der sog. „immunologischen Lücke“ oder „kritischen Phase“ ist, dass die mütterlichen Antikörper irgendwann so weit abgebaut sind, dass sie nicht mehr vor einer Infektion schützen, allerdings noch in der Lage sind, ein verabreichtes Antigen (Impfung) zu neutralisieren und den Impferfolg dadurch zu gefährden. Dieses Problem kann durch eine zusätzliche Impfung während der kritischen Phase umgangen werden. Möchte man diese zusätzliche Impfung umgehen, bieten sich zwei Möglichkeiten: Die erste besteht darin, die Antikörpertiterhöhe der Mutter zeitnah um den Geburtstermin herum zu untersuchen und, je nach Titerhöhe und Kolostrumaufnahme, daraufhin die Impfzeitpunkte des Welpens anpassen. Die andere Möglichkeit ist, die Welpen zu testen. Allerdings führt Letzteres zu vermehrtem Stress bei den Welpen und wird deshalb nur in Ausnahmefällen empfohlen.

•    Kontrolle der Grundimmunisierung bei Welpen: Die WSAVA empfiehlt eine Kontrolle der Grundimmunisierung in Bezug auf CDV (Staupe), CPV (Parvovirose) und CAV-1 (Hepatitis contagiosa canis) vier (oder mehr) Wochen nach Abschluss der Grundimmunisierung mit 16 Lebenswochen (oder älter). Ein positiver Titer bestätigt die erfolgreiche Grundimmunisierung des Welpen. Laut WSAVA muss in diesem Fall die nächste Impfung erst nach drei weiteren Jahren erfolgen. Bei einem unzureichenden Titer sollte eine direkte einmalige Wiederholung durchgeführt werden.

•    Kontrolle vor Wiederholungsimpfungen: Laut StIKo Vet und WSAVA eignet sich die Impftiterbestimmung gut, um die Notwendigkeit einer erneuten Routine-Impfung abzuschätzen. Mit den Impfabständen von drei Jahren wird sichergestellt, dass ALLE Hunden einen ausreichenden Schutz haben, längere Intervalle sind aber durchaus bei einzelnen Tieren möglich.

•    Titerkontrolle der Tollwutimpfung: Laut Tollwut-Verordnung sind geimpfte Tiere im Fall eines Tollwutausbruchs in der Umgebung bessergestellt als ungeimpfte. Darüber hinaus wird das Erreichen der vorgegebenen Titerhöhe bei der Einreise in gewisse Länder gefordert. Einschränkungen Bei Bakterien oder Protozoen (z. B. Leptospiren oder Leishmanien) ist der Immunschutz deutlich kurzlebiger. Gleichzeitig gibt es keine gute Korrelation zwischen einem wirksamen Schutz und den Antikörperspiegeln. Daher ist hier eine regelmäßige, jährliche Wiederholungsimpfung weiterhin unersetzbar und die Impftiterbestimmung nicht empfehlenswert.

TAKE HOME MESSAGE

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es für einzelne Impfungen (CDV, CPV und CAV) sinnvoll sein kann, die Impfentscheidung abhängig von einer Blutuntersuchung zu machen. Der Nutzen sollte stets individuell vom Tierbesitzer zusammen mit dem Tierarzt abgeschätzt werden. Wiederholte Blutentnahmen können unter Umständen bei den stressanfälligen Jungtieren zu Belastungen führen. Abschließend sollte festgehalten werden: „Mehr Tiere impfen, das einzelne Tier (nur) so häufig wie nötig!“

Mehr Informationen zum Thema:
WSAVA GUIDELINES for Vaccination of dogs & cats
WSAVA 2015 Vaccination Guidelines for the Owners und breeders of dogs & cats
StIKo Vet Stellungnahme zur Impfung nach Antikörperbestimmung bei Hund und Katze