"Mehr als eine Bindehautentzündung" - Chicos Leidensweg

Chico wurde mir als Notfall in der Augenpraxis vorgestellt. Es ging ihm sehr schlecht, das konnte man ihm auf den ersten Blick ansehen (Abb. 1). Er saß an diesem Montagmorgen mit zusammen gekniffenen, stark tränenden Augen in meinem Wartezimmer und wirkte deprimiert. Die Geschichte, die seine Besitzerin dann erzählte, beschrieb einen unnötig langen Leidensweg.

Chicos Geschichte

Chico stammte ursprünglich aus Spanien, wo er mit etwa vier Monaten negativ auf Mittelmeerkrankheiten getestet worden war. Seit einigen Wochen war er nun bei seiner neuen Familie in Deutschland, zum Zeitpunkt der ersten Untersuchung bei uns war er zehn Monate alt. Zwei Wochen zuvor sei er wegen tränender Augen bei seinem Haustierarzt vorgestellt worden. Er hatte dort kortisonhaltige Augentropfen erhalten, die Diagnose lautete: Bindehautentzündung.

Eine Woche später sei es ihm sehr schlecht gegangen. Er wurde daraufhin auf Initiative der Besitzer in einer Tierklinik vorgestellt. Chicos rechtes Auge war zu diesem Zeitpunkt bereits ganz trüb. Ohne eine genaue Diagnose wurden in der Tierklinik die entzündungshemmenden Augentropfen abgesetzt und durch pflegende und antibiotische Augentropfen ersetzt. Hiermit ging es Chico jedoch keinesfalls besser, er war sehr matt, schlief viel und war berührungsempfindlich am Kopf. Bei der geplanten Kontrolluntersuchung eine Woche später wurde dann ein erhöhter Augeninnendruck festgestellt. Nun sollten drucksenkende Medikamente verabreicht werden.

An diesem Montag morgen kam Chico dann in unsere Augenpraxis. In der Augenuntersuchung wurde zunächst seine Sehfähigkeit überprüft. Chicos rechtes Auge war leider bereits erblindet. Beide Augen tränten stark und wurden zugekniffen, die Bindehäute waren hochgradig gerötet und geschwollen, und am rechten Auge war die Hornhaut so trüb, dass man in das Auge selbst nicht hineinschauen konnte (Abb. 2, 3). Die Messung des Augeninnendrucks mit einem speziellen Gerät (Tonovet®) ergab einen Wert von 83 mmHg am rechten und 14 mmHg am linken Auge (Normalwert: 10 bis 20 mmHg).

Diagnose: Uveitis (innere Augenentzündung) mit Sekundärglaukom (grüner Star)

Da das rechte Auge mit der Untersuchungslampe nicht einsehbar war, wurde eine Ultraschalluntersuchung der Augen
durchgeführt. Dies ist gut am wachen Tier unter lokaler Betäubung der Hornhaut mit Augentropfen durchführbar. Im Ultraschall zeigte sich im rechten Auge eine hochgradige Schwellung der Iris, die sich wie ein Napfkuchen in die vordere Augenkammer vorwölbte (Abb. 4).
Dies geschieht bei einer Entzündung der Iris, manchmal auch bei
Tumoren. Durch die Irisschwellung kann das Kammerwasser nicht mehr aus dem Auge abfließen, es kommt es zu einem erhöhten Augeninnendruck, einem sogenannten Glaukom. Die Diagnose in Chicos Fall lautete damit: Uveitis (innere Augenentzündung) mit Sekundärglaukom (grüner Star infolge einer anderen Erkrankung).

Eine solche Uveitis kann viele verschiedene Ursachen haben. Hierzu gehören beim Hund Infektionskrankheiten, wie z.B. Mittelmeer- oder zeckenübertragene Erkrankungen (Abb. 5). Auch Tumoren, hier an erster Stelle ein Lymphom (eine Form von Leukämie), können eine Uveitis hervorrufen. In vielen Fällen wird aber auch gar keine Ursache gefunden.

In Chicos Fall war es also sehr wichtig, zunächst möglichst die Ursache für die Uveitis zu finden, um gezielt behandeln zu können. Bei der Allgemeinuntersuchung fiel eine derbe Schwellung aller tastbaren Körperlymphknoten auf, aufgrund derer noch vor Beginn der symptomatischen Behandlung eine Probe aus einem Lymphknoten sowie Blut entnommen wurde. Dann erhielt Chico symptomatisch drucksenkende Augentropfen und -tabletten, sowie entzündungshemmende Tropfen und Schmerztabletten. Die Prognose für die Wiedererlangung der Sehfähigkeit des rechten Auges war aber aufgrund der weit fortgeschrittenen Uveitis und des Glaukoms schon sehr schlecht. Tatsächlich blieb er blind, und auch der Augendruck ließ sich medikamentell nicht mehr beeinflussen.

Ein rotes Auge ist nicht immer eine Konjunktivitis. Auch eine innere Augenentzündung oder ein Glaukom zeigen sich als „rotes Auge“, sind sehr schmerzhaft und können für immer zur Erblindung führen. Eine schnelle und sichere Diagnose ist essenziell für eine gezielte Behandlung und damit für den Erhalt von Sehfähigkeit und Auge."

Dr. Birgit Müller, Tierarztpraxis für Augenheilkunde

Diagnose: malignes Lymphom

Da es Chico in den folgenden Tagen aufgrund des sehr schmerzhaften Glaukoms immer schlechter ging, entschieden wir uns zusammen mit der behandelnden Tierklinik, das schmerzhafte, irreversibel erblindete rechte Auge operativ zu entfernen und pathologisch untersuchen zu lassen. Aus Blut- und pathologischer Untersuchung des Auges, sowie der Lymphknotenuntersuchung konnte dann die Diagnose „malignes Lymphom“ gestellt werden. Chico erhielt nun Chemotherapie in der Tierklinik. Sein Allgemeinzustand verschlechterte sich aber zunehmend. Er wollte nicht mehr fressen und bekam Fieber. Die Besitzer entschieden sich schlussendlich, ihn von seinem Leiden zu erlösen.

Dieser Fall zeigt, wie wichtig es ist, schnell eine sichere Augendiagnose zu stellen, um eine gezielte Behandlung zu ermöglichen. Diese kann unter Umständen schlimme Schmerzen verhindern, Sehfähigkeit und - wie in Chicos Fall - vielleicht sogar Leben retten. Wenn eine Uveitis oder ein Glaukom wie bei Chico als einfache Bindehautentzündung fehldiagnostiziert und zunächst unspezifisch anbehandelt wird, verliert man wichtige Zeit. Der Sehnerv erholt sich für gewöhnlich nicht von einem Druckanstieg im Auge über 40 mmHg, wenn dieser länger als 48 Stunden anhält.

In solch problematischen Augenfällen ist eine gute und rasche Zusammenarbeit zwischen dem grundversorgendem Haustierarzt, der bei Unsicherheit in der Diagnosestellung rasch überweist, dem spezialisierten Augentierarzt sowie einer zur weiteren Behandlung fähigen Tierklinik (Chemotherapie, stationäre Unterbringung, intensivmedizinische Versorgung), essenziell.